Der Seilbahnkönig


Manche Menschen halten gegen alle Widerstände an ihren Ideen fest. Bruno Rixen ist so einer. Man könnte ihn für verrückt halten, wenn er nicht so erfolgreich wäre.
brand eins ↗
Januar 2015

Wenn Bruno Rixen von seinen Erfindungen spricht, legt er den Kopf schief, und seine Augen fragen: „Hörst du mir noch zu, oder hältst du mich schon für verrückt?“ Er ist es gewohnt, für einen Spinner gehalten zu werden. Vielleicht trägt er deshalb das Bundesverdienstkreuz am Revers seines Jacketts. Um der Welt zu sagen: Lasst mich nur machen, ihr werdet schon sehen.

Seine größte Erfindung ist die Wasserski-Seilbahn. Sie ist sein Lebenswerk und der wichtigste Beweis dafür, dass bei ihm nicht alle Schrauben locker sind. Seit 53 Jahren ist seine Firma Rixen Cableways mit Sitz im oberbayrischen Bergkirchen Weltmarktführer. In 45 Ländern – von Schweden bis Südafrika, von Amerika bis Japan – ziehen seine 294 Anlagen Menschen jeden Alters übers Wasser. Das macht die Seen zwar nicht schöner, den Besuchern aber einen Heidenspaß. 23 Bahnen hat er im Jahr 2013 verkauft, das Stück für mindestens 250 000 Euro inklusive Montage.

Viel zu billig eigentlich, findet der 83-Jährige. Geld stand bei seinen Erfindungen stets an letzter Stelle. Wenn er bis in die Nacht seinen spitzen Bleistift über das Reißbrett jagt (der Computer ist ihm zu langsam) und den Radiergummi zum Stummel radiert, denkt er nicht an ein Produkt und dessen Verkauf. Er tüftelt, weil ihn technische Probleme fesseln und nicht wieder loslassen, bis er sie gelöst hat. „Als ich angefangen habe, kannte ich das Wort Marktstudie noch nicht einmal.“

Da war er 29 Jahre alt. Im Sommer zuvor hatte der frisch diplomierte Ingenieur bei einer Europareise in seiner BMW-Isetta den ersten Wasserskifahrer seines Lebens gesehen. Nach der ersten Fahrt wusste er: Das ist mein Sport – aber ich kann ihn mir nicht leisten. Denn wer übers Wasser gleiten will, braucht ein Boot und zwei Helfer: einen, der fährt, und einen, der nach hinten schaut. Rixen hatte sich das Geld für seine klapprige Isetta mühsam zusammengespart, indem er den Bauern seines Dorfes bei der Umstellung vom Pferd auf den Traktor half und dafür alte Gäule in Zahlung nahm – ein Boot lag jenseits seines Horizonts.

Doch was sich Bruno Rixen einmal in den Kopf gesetzt hat, das kriegt dort so schnell keiner mehr raus. „Die Lösung war eigentlich ganz einfach“, sagt er heute. Diesen Satz hört man oft von ihm. Jede seiner Erfindungen war „eigentlich ganz einfach“. Nur draufzukommen war manchmal etwas mühsam. Beim Wasserski hieß die Lösung: Seilbahn. Statt des teuren Bootes sollte ein fingerdicker Draht den Fahrer über den See ziehen. Dass er bis dahin noch nie eine Seilbahn gesehen hatte, sah er als Vorteil. So konnte er unvorbelastet an die Sache herangehen.

Rixen nimmt sich im Jahr 1960 zwei Wochen Urlaub, zim-mert in seinem norddeutschen Heimatdörfchen Groß Buchwald aus zwei Planken ein Paar Wasserski, schraubt dem Bruder die Rollen aus dem Mähdrescher, leiht sich von einem Freund ein Drahtseil und schleppt das Material zum Dorfweiher. Dem Förster zahlt er drei Mark, um Seil und Räder in den Bäumen festzumachen. Angetrieben wird die abenteuerliche Konstruktion von einem alten Traktor, den er mit dem Lötkolben startet.

Zur Seite stehen ihm der Schlachtermeister und der Zahnarzt des Dorfes. Sie glauben zwar nicht an das Vorhaben, aber das Freizeitangebot in Groß Buchwald an der Drögen Eider ist begrenzt zu jener Zeit. Als die Konstruktion in sechs Metern Höhe verzurrt ist, betritt Rixen die improvisierte Startrampe, schnallt sich die selbst gebauten Skier an, geht in die Hocke und wird mit einem gewaltigen Ruck auf den See gerissen. Durch Arme und Beine jagt ein stechender Schmerz, aber Rixen hält dagegen und gleitet nach einigen Sekunden aufrecht über das Wasser. Die Bauern aus der Nachbarschaft, die sich schadenfroh am Ufer aufgestellt hatten, fühlen sich um ihren Spott betrogen.

Doch kaum hat Rixen das Ende seiner Bahn erreicht, an der das Führungsseil hoch über ihm eine Kurve fährt, schlafft seine Halteleine ab, lässt ihn fast im See versinken und zerrt ihn dann so ruckartig in die neue Richtung, dass er mit schmerzenden Schultern im Schilf landet und die Nachbarn doch noch auf ihre Kosten kommen. Rixen fährt noch ein paar Runden, doch der heftige Ruck am Anfang und der unsanfte Abgang am Ende der Bahn setzen ihm zu.

Als er zu Hause die geschundenen Knochen kuriert, übernimmt sein technischer Ehrgeiz. Im Dorf hält man ihn für besessen, Ingenieurskollegen erklären ihm ausführlich, warum sein Plan scheitern muss, und selbst seine Mutter rät ihm, aufzugeben. Aber Bruno Rixen will Wasserski fahren. Er meidet seine Kollegen, zieht zurück ins Elternhaus und isst allein auf seinem Zimmer, damit ihn die Mutter mit ihren Zweifeln nicht beeinflussen kann. „Gedanken sind Kräfte“, sagt er.

Das Problem mit der Kurve löst er nach wenigen Tagen. Statt geradeaus auf das Ende zuzufahren, fährt er nun die Wende in einer weiten Kurve. Durch den Bogen, den er beschreibt, hält er seine Geschwindigkeit, während das Führungsseil die Richtung ändert. Bleibt noch das Problem mit dem unsanften Start.

Die Lösung lässt auf sich warten, und das Problem beginnt ihn zu verfolgen: bei der Arbeit, beim Ausgehen, beim Schlafen. Rixen hat jetzt immer einen kleinen Rechenschieber und ein Notizbüchlein dabei. Manchmal, wenn er mit einer schönen Frau tanzt und ihm ein Einfall kommt, kann er es kaum erwarten, bis das Lied zu Ende ist und er sich mit Heft und Rechenschieber zum Konstruieren in eine Ecke verziehen kann.

„Man darf nicht gleich bei jedem Problem umfallen“, sagt Rixen. Als sein Vater stirbt, ist er 14 Jahre alt und plötzlich Herr über Haus und Hof. „Das hat mich sehr geprägt“, sagt Rixen, „man ist zu mehr fähig, als man glaubt.“ So grübelt er weiter, und nach einem halben Jahr kommt ihm eines Abends beim Zeichnen eine Idee, die so einfach ist, dass er sie selbst nicht glauben kann, obwohl er auf dem Papier schon bewiesen hat, dass sie funktioniert. Statt unter dem Seil zu warten, bis die Leine an ihm reißt, stellt er sich in Leinenlänge im rechten Winkel zur Bahn. Nimmt die Leine bei Fahrtbeginn Zug auf, wird er gleichzeitig nach vorn und zur Seite gezogen und somit sanft beschleunigt, bevor er die volle Fahrtgeschwindigkeit erreicht.

Rixen meldet seine Erfindungen dem Patentamt, überzeugt den TÜV und baut seine erste Anlage für Besucher. Im folgenden halben Jahrhundert entwickelt er unzählige Verbesserungen, die er heute in seinem Büro am liebsten alle aufzählen und skizzieren würde. Den Bleistift hält er stets parat in der starken rechten Hand, deren schartige Nägel vom Ringen mit der widerständigen Welt zeugen.

Das weinrote Notizbüchlein führt er noch immer in der Jackettasche bei sich. In akkurater Handschrift notiert er darin seine Gedanken, Privates wie Geschäftliches. Bis heute radelt er jeden Tag ins Büro, arbeitet nie weniger als 60 Stunden in der Woche und war in 53 Jahren nur einmal im Urlaub (den er abgebrochen hat). Wenn ihn etwas umtreibt, fährt er zum nahen Wasserskipark Aschheim oder nach Kiefersfelden und dreht ein paar Runden, um den Kopf freizukriegen. Aber nur, wenn der Betreiber die Anlage in den Schnellgang schaltet, auf 58 Kilometer pro Stunde statt der mittlerweile üblichen 30 für Wakeboarder. Rixen fährt Monoski: beide Füße auf einem Brett, Haltung alter Schule.

Die hippen Wakeboarder, die mit ovalen Brettern über Holzrampen springen und mehr in der Luft als auf dem Wasser sind, nennt er „ein Geschenk des Himmels“. Mehr als 90 Prozent des Umsatzes macht der Trendsport mittlerweile aus, der vor rund 20 Jahren aus den USA nach Deutschland schwappte. Ohne Wakeboarder hätte Rixen keinen Jahresumsatz von 7,4 Millionen Euro, und ohne Rixen gäbe es womöglich keine Wakeboarder.

Der Deutsche Wasserski- und Wakeboardverband hält Rixens Seilbahn für ebenso wegbereitend wie den eigentlichen Wasserski-Erfinder Ralph Samuelson, der im Jahr 1922 als erster Mensch auf zwei Brettern über den Lake Pepin am Mississippi fuhr, aber fünf Jahre später stürzte und sich als Truthahnfarmer verbittert nach Südminnesota zurückzog und nie wieder ein Brett unter den Fuß schnallte.

Rixens Erfindung hat das Wasserskifahren zum Massensport gemacht. 1,3 Milliarden Kilometer sind die Besucher seiner Anlagen bisher gefahren. Also viermal zur Sonne und zurück, rechnet der Erfinder vor, der beim Erzählen mitunter wilder springt als die Wakeboarder auf der Funbox, der aber beim Umrechnen von Einheiten und Maßen jedes Mal aufs Komma richtig landet.

Schon als kleiner Junge liest er lieber Betriebsanleitungen als Karl May, und in den Magazinstapeln, die man sich im Dorf monatsweise weiterreicht, interessiert ihn nur die Technik. „Jeder Mensch ist doch für irgendwas geschaffen“, sagt er, „bei mir sind es eben die Maschinen.“

Am liebsten würde Rixen seine Firma jetzt verkaufen, um sich neuen Herausforderungen zu widmen. Aber ein paar Anteile möchte er behalten, um auch in Zukunft seine eigentlich ganz einfachen Ideen einbringen zu können. Nach dem Verkauf will er seinen nächsten Coup umsetzen: „Die Revolution der Bundesbahn.“ Rixen hat vor, die Haltestelle abzuschaffen und Passagiere direkt in fahrende Züge einsteigen zu lassen. Ohne Halt am Bahnhof könnte er in vier Stunden von München nach Kiel fahren, sagt er, die Pläne lägen im Schrank.

„Technisch ist das ganz einfach möglich.“