Im Spinnennetz


Angeführt von Konzernen wie Google und Facebook, konnte die Online-Werbebranche lange Zeit unbehelligt ihre Fäden über das Internet ziehen. Heute erweist sie sich als übergriffig, intransparent und eine Gefahr für die Demokratie. Über einen gewaltigen Schattenmarkt, der dringend einer Korrektur bedarf.
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Februar 2023



Gratis ist nicht kostenlos – was am Stammtisch gut klingt, stimmt auch im Internet. Ein Großteil unserer Online-Alltagsdienste wie Suchmaschine, E-Mail-Postfach, Straßenkarte oder Nachrichtenseite sind nur deshalb frei verfügbar, weil sie sich mit Werbung finanzieren. Wie perfide der Handel mit unseren Daten inzwischen ist, bekommt kaum jemand mit.

Online-Werbung hat sich zu einem Schattenmarkt entwickelt, auf dem eine Unzahl von Unternehmen agiert, die kein Laie kennt. Auch deren Methoden sind den wenigsten bekannt. Dabei ist die AdTech genannte Branche das Rückgrat des Internets, zumindest jenes offenen Teils, den wir ständig nutzen. Im Jahr 2022 floss in den Online-Werbemarkt weltweit mehr als eine halbe Billion Euro.

Die Branche konnte so groß werden, weil sie verspricht, Konsumentinnen und Konsumenten gezielter anzusprechen als klassische kontextbasierte Werbung (siehe Glossar in der linken Spalte). Zudem konnte sie lange Zeit nahezu unbehelligt von gesetzlicher Regulierung expandieren.

Erst seit einigen Jahren regt sich Widerstand. Vor allem die jüngsten Regulierungsinitiativen der Europäischen Union, die einen stärkeren Schutz der Privatsphäre im Internet einfordern, setzen die Ad-Tech-Anbieter unter Druck.

Allerdings erscheint das Vorgehen der Politik halbherzig, wenn man das Online-Werbe-System genauer betrachtet. Denn die AdTech-Branche erlaubt sich eine nie da gewesene automatisierte Verfolgung und Auswertung unseres Verhaltens im Netz. Und wie es aussieht, wird sich daran so bald wenig ändern.

Dabei wissen wir seit einer 2014 von den Universitäten Stanford und Cambridge durchgeführten Studie, dass schon wenige Online-Daten weitreichende Rückschlüsse auf uns zulassen. So genügte die Analyse von zehn Facebook-Likes, um präzisere Aussagen über Menschen zu treffen, als es deren Arbeitskolleginnen und -kollegen vermochten. Ab 150 Likes schlug die digitale Vorhersage Verwandte, ab 300 Likes die eigenen Lebenspartner. Kurz: Die AdTech-Anbieter wissen mehr über uns als unsere engsten Vertrauten.

Der Verlust unserer Privatsphäre ist nicht der einzige Preis, den wir zahlen, um digitale Dienste gratis nutzen zu können. Denn neben personalisierter Werbung werden die gesammelten Daten auch für gezielte politische Desinformation genutzt, zum Beispiel bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten oder beim Brexit. Letztlich gefährdet das derzeitige Werbesystem so die Demokratie. Angesichts des Schadens, den es anrichtet, stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte und wie ein besseres System aussehen könnte.

1. Wie alles begann – die Entdeckung des Rückkanals

Als Werbetreibende das Internet für sich entdeckten, übertrugen sie zunächst die Prinzipien der Offline-Welt ins Digitale. Sie suchten für ihre Reklame einen passenden Kontext. Wer sich in einem Forum über Staubsauger informierte, bekam eine Staubsaugerwerbung zu sehen. Und zwar dieselbe wie alle anderen auch. Heute wird Online-Werbung meist auf Persönlichkeitsprofile zugeschnitten. Statt mit der Schrotflinte grob in Richtung Kundschaft zu feuern, soll nun jedes Banner, jeder Videoclip ein Präzisionsschuss sein.

Wer eine Website im Browser öffnet, der bittet den Server, auf dem sie liegt, ihm die gewünschte Seite zu schicken. Es ist der Beginn einer Kommunikation: Der Internetsurfer empfängt nicht nur, sondern sendet auch – und liefert nebenbei wertvolle Daten. So lässt sich etwa aus der IP-Adresse der grobe Aufenthaltsort bestimmen. Verfeinert man die Technik, lassen sich auch Alter, Geschlecht oder Interessen automatisiert ermitteln. So kann der oben erwähnte Staubsaugerwerber herausfinden, ob da gerade ein Kulturwissenschaftsstudent den billigsten Sauger für seine WG in der Dortmunder Nordstadt sucht oder die betagte Allergikerin ein leises Zweitgerät fürs Obergeschoss ihres Chalets in Gstaad. Bahnbrechend, aber für die Werbebranche nicht genug. Sie wollte noch genauere Daten.

Anfang der 2000er-Jahre, die Dotcom-Krise war überwunden und die Verheißungen der Internetwirtschaft wieder groß, weiteten die AdTech-Pioniere ihre Überwachungstechnik auf unzähligen Seiten im Netz aus. Die Menschen sollten auf Schritt und Tritt verfolgt werden, um so ein immer schärferes Bild von ihnen zu gewinnen. Heute sind selbst auf seriösen Nachrichtenseiten Hunderte kleiner Dienste einzelner Firmen aktiv, die dazu dienen, so viele Informationen wie möglich von uns zu bekommen. Meist geschieht das noch in Form von Cookies (siehe Glossar), doch längst gibt es Alternativen.

Die neuen Möglichkeiten der Überwachung kamen bei den Werbetreibenden gut an. Heute sind 90 Prozent aller Anzeigen im Netz auf verhaltensbasierte Profile zugeschnitten.

Solche Profile enthalten mitunter Millionen von Datenpunkten und wecken allerlei Begehrlichkeiten. Wem der Sinn danach steht, kann seine Botschaften gezielt an ängstliche Seniorinnen schicken, an magersüchtige Minderjährige oder an Menschen, die einen Waffenschein sowie Probleme mit der Regierung haben.

2. Wie alles aus dem Ruder lief – die Erfindung der Echtzeitauktion

Diese Pakete mit sensiblen Daten liegen nicht etwa bei wenigen Firmen, die unser Vertrauen genießen, sondern vagabundieren unkontrolliert durchs Netz, zu Firmen, die fast keiner kennt. Der Grund dafür liegt im automatisierten Werbebetrieb, dem Programmatic Advertising (siehe Glossar).

Das funktioniert so: Da ist zunächst der Werbetreibende, der dafür bezahlt, dass seine Anzeige ausgespielt wird. Dies erledigt für ihn eine sogenannte Demand Side Platform (DSP), ein Dienstleister, der verspricht, die Anzeige der gewünschten Zielgruppe zuzuführen. Dafür tritt er mit einer Ad Exchange in Kontakt, wo die Kundendaten aus unzähligen Quellen ausgewertet werden. Ist dort der passende Werbeplatz für die Anzeige gefunden, wird sie an die Sell Side Platform (SSP) gesendet und verarbeitet. Diese liefert die Werbung schließlich an den Betreiber der Website, der sie dort platziert.

Dieser Prozess findet bei jedem einzelnen Seitenaufruf statt. Jedes Mal, wenn Sie auf einen Link der Nachrichtenseite Ihres Vertrauens klicken, sendet Ihr Browser die Bitte um die betreffende Seite an den Server. Statt Ihnen die Seite aber sofort zurückzuschicken, bündelt der Seitenbetreiber alle Informationen, die er durch die vielen Tracker auf seiner Seite über Sie bekommt, und schickt diese Bewerbungsmappe an seine SSP, die noch mehr Informationen aus weiteren Quellen dazulegt und die ergänzte Mappe dann an die Ad Exchange sendet. Meist schickt er sie gleich an mehrere Exchanges. Und die wiederum leiten Ihre Mappe dann an Hunderte DSP weiter.

Diese DSP gleichen Ihre Mappe mit weiteren Informationen ab, die sie aus anderen Quellen über Sie erhalten haben. Vielleicht steht in Ihrer Mappe, dass Sie ein Hundefan sind und daher vielleicht am Kauf eines Tieres interessiert. Die exklusiven Daten Ihrer Payback-Karte zeigen nun aber, dass Sie sich vorige Woche einen Zwergpudel gekauft haben. Flugs passt die DSP Ihre Mappe an und ersetzt die Anzeige des Tierheims mit einer Werbung für ein Hundekörbchen. Daraufhin schickt die DSP eine Anfrage an die Ad Exchange.

Da Ihre Mappe an Hunderte DSP gleichzeitig geschickt wurde, die Ihnen alle gern Werbung ausspielen wollen, eröffnet die Ad Exchange eine Versteigerung unter den Interessenten. Geboten wird nur auf Sie und auf die Website, die Sie besuchen wollen.

Die Gewinner-Anzeige bahnt sich dann ihren Weg von der DSP über die Exchange zur SSP und von dort zum Betreiber der Website, der sie einbindet und die Seite an Ihren Browser schickt – selbstverständlich zusammen mit einem neuerlichen Tracker, der Ihre Reaktion auf diese Werbung überwacht. Der komplette Vorgang dauert rund 200 Millisekunden – doppelt so lang wie ein Wimpernschlag. In dieser kurzen Zeit gingen Dutzende Versionen Ihres Persönlichkeitsprofils an Hunderte Firmen weltweit.

3. Wer den Markt dominiert – die üblichen Verdächtigen

Diese Firmen haben zwar für Laien weitgehend unbekannte Namen, doch viele von ihnen gehören den großen US-Digitalkonzernen. Allein Alphabet und Meta beherrschen mit ihren Tochterfirmen mehr als die Hälfte des globalen AdTech-Marktes. Dabei treten sie in verschiedenen Rollen auf. So verkauft Meta zum einen Werbeplätze auf Facebook, Instagram und Whatsapp, betreibt aber auch eine Mega-Exchange. Die vermittelt zum einen als Auktionshaus zwischen Werber und dem Anbieter von Anzeigenplätzen, bietet zudem ihre Dienste den Käufern von Anzeigenplätzen an und auch den Verkäufern. Dazu verkauft Meta noch seinen reichen Datenschatz über das Innenleben der Nutzerinnen und Nutzer und steht damit auf jeder Seite des Geschäftes. Man muss kein Glas-halb-leer-Typ sein, um hier ein Problem zu erkennen.

Amazon agiert ähnlich. Den größten Werbeschnapp macht aber Alphabet. Im Jahr 2021 nahm der Google-Mutterkonzern 258 Milliarden Dollar ein – mehr als 80 Prozent davon allein mit Online-Werbung. Jeder dritte Euro, der 2021 weltweit damit umgesetzt wurde, lief über einen Google-Dienst. Dicht gefolgt von Meta mit einem Marktanteil von etwa einem Viertel. Gemessen an den Einnahmen, ist Google kein Suchmaschinenanbieter, der nebenher Geld mit Werbung verdient, sondern ein Werbe-Unternehmen, das nebenher eine Suchmaschine betreibt. Der Konzern unterhält rund ein Dutzend Firmen, die jeden Winkel des Werbemarktes bedienen. Selbst Profis verlieren hier bisweilen den Überblick. Nicht zuletzt, weil Alphabet seine eigenen Dienste regelmäßig umstrukturiert und neu benennt.

Mit der Kombination aus diver- sen Suchmaschinen und seinem Mail-Dienst sitzt Google wie eine Spinne im Netz, die fast all unsere Online- Wege kontrolliert. Beinahe alle großen Verlage verkaufen ihre Werbeflächen heute über Google, rund die Hälfte aller Anzeigen weltweit wird über den US-Konzern automatisiert versteigert. Wie Meta und Amazon ist auch Google auf allen Seiten des Geschäfts maßgeblich vertreten. Mit naheliegenden Folgen.

Eine Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers kam zu dem Ergebnis, dass durchschnittlich nur die Hälfte dessen, was der Werbetreibende für einen Anzeigenplatz bezahlt hat, tatsächlich beim Seitenbetreiber ankommt. Im schlimmsten Fall versickerten 98 Prozent des Geldes unterwegs bei Plattformen und Zwischenhändlern. Und bei einem Drittel aller Zahlungen ließ sich nicht einmal nachverfolgen, an wen sie überhaupt geflossen waren. Dazu kommt, dass viele Anzeigen niemals echte Menschen, sondern nur Bots erreichen. Der Schaden durch diese Form des Betrugs wird für das Jahr 2023 auf rund 100 Milliarden Dollar geschätzt.

4. Warum das System trotz allem überlebt – die irrationalen Anhänger

Sowohl die Werbetreibenden als auch die Medienhäuser liefern sich trotz der Nachteile dem intransparenten Markt aus. Die Inhalte-Anbieter geben dabei sogar ihr größtes Gut aus der Hand. Denn das von Überwachungstechnik geprägte System macht es möglich, dass die für die Werbeindustrie attraktive Leserschaft einer Online-Publikation nicht auf deren Homepage umworben wird, sondern dort, wo es für den Vermittler von Vorteil ist.

Nehmen wir an, die Tracker, die verschiedene AdTech-Firmen im Online-Wirtschaftsteil einer gehobenen Tageszeitung platziert haben, registrieren eine solvente Leserin mit Uhrenfimmel. Die Werbeplattformen könnten nun die Gebote werbewilliger Uhrenfirmen ins Rennen schicken. Doch der Werbeplatz bei der Tageszeitung ist teuer. Da lohnt es sich, die Online-Reise der Uhrenfrau ein wenig zu begleiten. Vielleicht erkundigt sie sich bald auf einer kostenlosen Seite nach dem Wetter oder öffnet ihre Sudoku-App. Dort kostet der Werbeplatz nur einen Bruchteil, die Kundin ist dieselbe. Die Branche nennt das Retargeting, für die Medienhäuser mit den teuren Werbeplätzen bedeutet es Umsatzverlust.

Warum sie dennoch weiter bei dem unfairen Spiel mitmachen, ist schwer verständlich. Ein Grund ist sicher die Komplexität des Themas. Jan Penfrat von European Digital Rights (EDRi), einer internationalen Vereinigung von Bürgerrechtsorganisationen für Datenschutz, hat noch eine zweite Vermutung: „In den verantwortlichen Abteilungen sitzen viele Leute, die nur noch dieses System kennen. Eine ganze Generation ist mit der verhaltensbasierten Werbung der Überwachungsindustrie aufgewachsen.“

Auch die werbetreibenden Unternehmen sind nicht glücklich mit dem aktuellen System. Bittet man Uwe Storch, den Vorstandsvorsitzenden der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM), AdTech mit einem Wort zu beschreiben, sagt er: „Overpromising.“ Die datengetriebene, personalisierte Werbung habe zu viel versprochen. Denn so erschreckend genau das Profiling sein kann, so sehr kann es auch danebenliegen. Das große Versprechen von der gezielten Ansprache der Konsumentinnen und Kosumenten scheint sich nicht halten zu lassen. Hinzu kommt: Individuelle Kampagnen sind viel aufwendiger in der Planung, Herstellung und Auswertung als die klassische Anzeige, die einem großen Publikum präsentiert wird.

Die Werbetreibenden sind zudem not amused darüber, dass ein und dieselbe Firma den Werbeplatz verkauft – und die Analyse der Wirksamkeit. Wer diesen Daten nicht traut, kann eigene Tracker nutzen und schalten, wo es möglich ist.

Uwe Storch will verhaltensbasierte Werbung nicht abschaffen. Aber es müsse sich etwas Grundlegendes ändern. Er bemängelt die Technikverliebtheit der Branche, die allzu lang gemacht habe, was möglich war. Und wünscht sich ein transparentes und faires System. Es könne ja nicht sein, sagt er, dass von 100 Euro nur 50 beim Seitenbetreiber ankommen.

5. Wie Werbung reguliert wird – gute Ansätze und zu große Schlupflöcher

Um die marktdominierenden Monopole zu knacken, schlugen vier US-Senatoren in einer überparteilichen Zusammenarbeit im Mai vergangenen Jahres den Digital Advertising Act (DAA) vor. Sollte er in Kraft treten, dürften Unternehmen, die im Jahr mehr als 20 Milliarden Dollar mit Online-Anzeigen einnehmen, nur noch auf einer Seite des Business aktiv sein. Ad-Exchange-Betreiber könnten dann keine Supply- oder Demand- Side-Plattformen mehr besitzen.

In der Folge müsste etwa Google seine Werbesparte in einzelne Firmen aufspalten. Das aber würde am eigentlichen Problem nichts ändern. Denn es gibt längst einen Industrie-Standard für die automatische Versteigerung von Werbeplätzen. Neue Firmen können damit jederzeit leicht ins Überwachungsgeschäft einsteigen. Und wie die Erfahrung zeigt, werden diese anfangs kaum kontrolliert. Damit wäre die dominierende Stellung der größten Anbieter zwar relativiert, das Problem der Überwachung, der gezielten politischen Ansprache Einzelner und die Intransparenz des Marktes blieben aber bestehen.

In Europa wurde im Zuge neuer Regulierungsinitiativen ein vollständiges Verbot der verhaltensbasierten Werbung diskutiert. Doch der im November 2022 in Kraft getretene Digital Services Act (DSA) sieht ein solches nicht vor. Eingeschränkt werden die AdTech-Praktiken nur insofern, als besonders sensible Personendaten wie Religion, Gesundheit oder sexuelle Orientierung nicht fürs Profiling genutzt werden dürfen. Individuell auf Kinder zugeschnittene Werbung ist ganz untersagt. Diese Verbote gelten aber ausdrücklich nur für große Plattformen. Und wie sich juristisch wasserdicht feststellen lässt, ob dort einem Kind oder Erwachsenen Werbung gezeigt wird, bleibt abzuwarten.

Wichtiger war da die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die im Mai 2018 in Kraft trat und Seitenbetreiber dazu verpflichtet, sich die Zustimmung ihrer Besucher einzuholen, bevor Third-Party-Cookies zum Einsatz kommen dürfen. Diese Cookies werden im Browser der Besucher gespeichert und helfen, diese dann seitenübergreifend zu verfolgen.

Würde die DSGVO konsequent umgesetzt, löste sich ein Großteil des Problems von selbst. Doch das wird sie nicht. Ein erheblicher Anteil der Cookie-Zustimmungen wird heute mit manipulativen Techniken eingeholt – auch von bekannten deutschen Medienhäusern. Statt offen – mit den gleichberechtigten Antwort-Optionen Ja und Nein – zu fragen, wird das Feld für die Zustimmung oft farblich hervorgehoben und die Möglichkeit der Ablehnung hinter mehreren Klicks und sprachlichen Finten verborgen. Diese Vergehen wurden bisher kaum geahndet. „Die Firmen kommen mit Regelbrüchen viel zu billig weg, das muss sich ändern“, sagt Jan Penfrat von der Organisation European Digital Rights. Noch hat er Hoffnung auf die Mühlen der Justiz. Der Weg sei zwar noch weit, „aber immerhin stand der Kampf noch nie so gut“.

So wurde im Dezember 2022 bekannt, dass die EU Metas Praxis als unzulässig ansieht. Die Facebook-Mutter fragt die Nutzerinnen und Nutzer ihrer Plattformen nicht vor jedem Besuch, ob Cookies verwendet werden dürfen. Stattdessen enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen einen entsprechenden Passus. Die Einschätzung der EU könnte eine milliardenschwere Strafe für Meta nach sich ziehen.

6. Was die Lösung sein könnte – der Plan der Unternehmen und ein rigider Vorschlag

Dass es allmählich eng wird für die Wildwest-Werbewelt, merken auch die Unternehmen, die am stärksten von ihr profitieren. Allen voran gibt sich Google als Reformer. So plant der Konzern nun – nachdem er heftig gegen ein Verbot der personalisierten Werbung und auch gegen die Einschränkungen durch den DSA in Brüssel lobbyiert hatte – ein Verbot von Third-Party-Cookies in seinem Chrome-Browser. Das klingt nach einer noblen Geste zum Schutze der Privatsphäre. Doch in Wirklichkeit kann Google gut auf diese Technik verzichten. Als Erst-Anbieter zahlloser Alltagsdienste bedarf der Konzern keiner Dritt-Anbieter-Daten. Im Gegenteil, ein Verbot der Schnüffel-Cookies würde die Konkurrenz schwächen und Google stärken.

Das Verfallsdatum für die ThirdParty-Cookies in Googles Chrome-Browser wurde immer wieder verschoben, und die Vorschläge des Konzerns für eine bessere Alternative verändern sich ständig – erst hießen sie Flocs, jetzt heißen sie Topics. Gemein ist ihnen, dass sie dazu dienen, das alte System an die neuen Gegebenheiten anzupassen und Googles Marktmacht zu sichern.

Ein größeres Problem hat Meta. Das Unternehmen sitzt zwar auf einem gigantischen Datenschatz, verfügt aber über vergleichsweise wenige eigene Werbeplätze. Wenn es die Menschen nicht mehr auf den Seiten anderer verfolgen und seinen Schatz nicht mehr an Dritte verkaufen könnte, wäre das ein herber Verlust. Das mag ein Grund für die überraschende Allianz mit dem Firefox-Hersteller Mozilla sein. Dieser steht traditionell aufseiten des Datenschutzes, ist aber auch chronisch klamm. Was Mozilla zu dieser Partnerschaft treibt, lässt sich schwer klären. Für Meta dürfte es vor allem um den Zugriff auf den Firefox-Browser gehen – die technische Voraussetzung dafür, dass der Konzern auch in der Post-Cookie-Ära Menschen im Netz verfolgen kann.

Dass sich mit dem Aus der Third-Party-Cookies das ganze System ändern wird, daran glaubt weder Uwe Storch aufseiten der Werbetreibenden noch Jan Penfrat aufseiten der Datenschützer. Die Cookies sind nicht das Problem. Wer heute nur Third-Party-Cookies abschafft, wacht morgen in einer Welt auf, die das Gleiche mit anderen Techniken erreicht.

Eine zwar rigide, aber vielversprechende Lösung wäre ein Verbot jeglicher auf Überwachung basierender Werbung. Das wäre zwar die Holzhammermethode, die einige Kollateralschäden nach sich zöge, aber sie würde einige Probleme mit einem Schlag lösen. Für manche Profiteure des heutigen Systems wäre das verheerend. Und so werden deren Sprachorgane nicht müde, für dieses Szenario wahlweise den Tod der freien Medien oder eine Online-Welt aus Bezahl-Schranken und Login-Sperren zu prophezeien.

Dabei haben Medienhäuser die längste Zeit ihres Bestehens auskömmlich von kontextbasierter Werbung gelebt. Dass sich der Umstieg auf überwachungsfreie Werbung sogar lohnen kann, hat das niederländische Unternehmen Opt Out Advertising bewiesen. Es zeigt, wie AdTech auch in Zukunft das freie Internet ernähren könnte, ohne seine Kunden wie Wild durchs Netz zu jagen. Damit könnten wir vermeintlich kostenlose Dienste wieder mit unserer Aufmerksamkeit bezahlen statt mit unserer Privatsphäre und der Zukunft unserer Demokratie.  



Es geht auch anders


Wie ein niederländisches Medienhaus Cookies verbannte und davon profitierte.


Als im Mai 2018 die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft trat, handelte die größte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt der Niederlande, Nederlandse Publieke Omroep (NPO), anders als viele andere Medienunternehmen: Sie legte das Gesetz so aus, wie es gemeint war – und stellte ihre Leserschaft vor die Wahl, durch Third-Party-Cookies verfolgt zu werden oder nicht. Statt davon auszugehen, dass alle Besucher des Online-Auftritts grundsätzlich einverstanden damit sind, ihre Daten mit Unbekannten zu teilen, gingen sie vom Gegenteil aus: Wer das Befragungsfenster ignorierte, der wurde als Ablehner angesehen. Für eine Zustimmung musste man auf „ja“ drücken.

Das Ergebnis: 90 Prozent entschieden sich gegen Cookies. Als Folge hätte man nun erwarten können, wovor AdTech-Größen wie Google und Facebook seit Jahren warnen: dass die Werbetreibenden nichts mehr über das Publikum erfahren und es nicht mehr gezielt ansprechen können. Dass folglich die Werbeplätze weniger wert sind und der Seitenbetreiber am Ende weniger Geld mit Anzeigen einnehmen wird. NPO war auf all das gefasst.

Doch es kam anders – die Einnahmen stiegen. Und so beschloss man bei NPO im Januar 2020 den zweiten radikalen Schritt: Alle Werbe-Cookies wurden restlos entfernt.

Selbst wer wollte, konnte nun nicht mehr verfolgt werden. Und doch stiegen die Werbeeinnahmen weiter, sogar während der Corona-Zeit.

Ganz von allein funktionierte der Systemwechsel allerdings nicht. Denn zu Beginn war auch NPO mit seinem hauseigenen Werbevermarkter Stichting Ether Reclame (Ster) Kunde bei Googles Werbenetzwerk Ad Manager – wie fast alle Medienhäuser. Wer seine Besucher eifrig überwacht und deren Daten weitergibt, bekommt damit eine komfortable Plattform, die einem die Arbeit abnimmt und in Sekundenbruchteilen personalisierte Werbung ausspielt – das sogenannte Programmatic Advertising. Wer die Daten seiner Leserschaft aber nicht teilen wollte oder konnte, für den hatte Google nichts im Angebot. Mit einem Schlag saß Ster also auf einem Haufen unverkäuflicher NPO-Werbefläche.

Also suchte Linda Worp, die damals als Produktmanagerin fürs Digitale bei Ster arbeitete, nach Wegen, um die Werbeflächen auf anderem Wege zu verkaufen. Innerhalb weniger Wochen baute ihr Team ein neues System aus Anzeigen, die das Publikum nicht ausspionierten. Im Schnitt klickten zwar etwa gleich viele Menschen auf eine Anzeige wie zuvor, aber sie blieben länger und kauften mehr. Zudem sparte man sich bei NPO die Gebühren für sämtliche Zwischenhändler.

Als die niederländische Regierung im folgenden Jahr beschloss, die Werbung bei den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten stark zu reduzieren, gründete Linda Worp mit ihrem Team im März 2021 Opt Out Advertising. Die Firma bietet heute großen und kleinen Online-Kunden aus den Niederlanden ziemlich genau dasselbe an wie Google. Mit dem großen Unterschied, dass die Werbetreibenden – wenn gewünscht – nichts über den Betrachter ihrer Anzeige erfahren, weder vor noch nach der Auktion. Bevor sie für einen Werbeplatz bieten, sehen sie, was der Kunde sehen wird: das Umfeld und die Aufmachung der eigenen Anzeige. Das System funktioniert mit Texten und – da in den Niederlanden beinahe jedes Bewegtbild untertitelt ist – auch mit Videos.

Der technische Ablauf im Hintergrund ist der gleiche wie bei den übrigen automatisierten Anbietern. Die Anzeigen werden in Echtzeit versteigert und ausgespielt. Doch statt ausufernder Persönlichkeitsprofile bieten die Werbetreibenden auf den Inhalt der von dem Internetsurfer angeforderten Seite. Das Beste aus zwei Welten: Programmatic Advertising ohne persönliche Daten.

Die junge Firma bedient den rasant wachsenden Bedarf an Werbeflächen, für die es keine Zustimmung zur Cookie-Verfolgung gibt. Bisher nutzen kaum Seitenbetreiber diese Flächen, weil ihre Partner für die Vermarktung das nicht vorsehen. Opt Out Advertising hebt diesen Schatz. Die Firma ist profitabel und hat mittlerweile acht Angestellte. Noch beschränken sie sich auf die Niederlande, haben die europäische Nachbarschaft aber schon im Blick.



Glossar



Verhaltensbasierte Werbung (Targeted Advertisement, Behavioral Targeting, Microtargeting, Surveillance Ads)
ist auf das individuelle Persönlichkeitsprofil jedes Menschen zugeschnitten. Erst die Überwachungstechniken des Internets ( > Cookies) haben diese Form der Werbung möglich gemacht.

Kontextbasierte Werbung (Kontextwerbung, Contextual Targeting)
ist die traditionelle Form der Werbung, die sich an eine Zielgruppe in einem passenden inhaltlichen Umfeld richtet. Der Werbetreibende wählt den Kontext, in dem seine Anzeige stehen soll. Über die einzelnen Menschen in diesem Umfeld erfährt er nichts. Auch diese Form der Zielgruppenansprache lässt sich automatisieren ( > Programmatische Werbung).

Cookies
sind kleine Textdateien, die auf dem Computer oder mobilen Gerät eines Menschen gespeichert werden, wenn er eine Website besucht oder eine App bedient. Stammen sie direkt vom Seitenbetreiber, spricht man von First- Party-Cookies. Dank ihnen kann etwa der Betreiber eines Onlineshops das Verhalten der Besucherinnen und Besucher analysieren und zum Beispiel deren Einkäufe im Warenkorb speichern.
Sogenannte Third-Party-Cookies werden hingegen von Dritten verwendet. Sie dienen dazu, die Besucher von Websites zu markieren und wiederzukennen, wenn diese auf anderen Seiten im Netz unterwegs sind. Oft handelt es sich um Tracking-Cookies, da sie erlauben, Menschen nachzuspionieren.

Programmatische Werbung (Programmatic Advertising, PA)
bezeichnet den automatisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen im Internet. Dies geschieht heute häufig in Echtzeit ( > Echtzeitversteigerung) mithilfe von Online-Marktplätzen ( > Ad-Exchange). Mittlerweile sind 90 Prozent der Werbung auf Internetseiten programmatisch.

Echtzeitversteigerung (Real-Time-Bidding, RTB)
ist die heute vorherrschende Methode, um Anzeigenplätze im Internet zu verkaufen. Immer wenn ein Mensch eine Seite aufruft, wird in einem automatisierten Prozess in Sekundenbruchteilen die dort verfügbare Werbefläche versteigert. Üblich ist derzeit, dass Gebote auf das Persönlichkeitsprofil eines Besuchers ( > Verhaltensbasierte Werbung) abgegeben werden. Es gibt aber auch Auktions-Plattformen, die keine Profile, sondern ein bestimmtes Umfeld versteigern (siehe > Kontextbasierte Werbung sowie „Es geht auch anders“).

Ad-Exchange
ist der digitale Marktplatz, auf dem die Wünsche der Werbetreibenden und die Angebote der Anzeigenplatz-Verkäufer zusammenkommen.

Sell-Side-Platform (Supply-Side-Platform, SSP)
ist eine Software-Plattform, die dem Seitenbetreiber das automatisierte Verkaufen seiner Werbeflächen ermöglicht.

Demand Side Platform (DSP)
ist eine Software-Plattform, die dem Werbetreibenden das automatisierte Kaufen von Werbeflächen ermöglicht.